Was das neue Corona-Virus so einzigartig und gefährlich macht

Das neue Corona-Virus SARS-CoV-2 ist wie ein Orkan über die Welt gefegt und hat innerhalb weniger Wochen auch die letzten Winkel der Erde erreicht und überall Menschen, alte wie junge, gesunde wie kranke infiziert. Das Virus macht vor keinem Kontinent, keiner Ländergrenze und keiner Haustür halt. Warum das so ist und warum sich praktisch jeder mit dem Virus infizieren kann, liegt an spezifischen Eigenschaften des neuartigen Virus und ist zusätzlich der Tatsache geschuldet, dass die Menschheit sich noch nie mit solch einem Virus auseinandersetzen musste.

SARS-CoV-2 zeigt virale Besonderheiten

Coronaviren gibt es viele und sie sind bei Tieren wie Menschen weit verbreitet. Bekannte Vertreter aus der Corona-Familie wie die Erreger von SARS und MERS verursachen Erkrankungen der Atemwege, die bei Menschen mit hohem Alter, Vorerkrankungen oder Risikofaktoren wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen auch schwerwiegende Verläufe nehmen können. So hat die SARS-Pandemie der Jahre 2002-03 weltweit nach Angaben des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung 774 Menschen das Leben gekostet. Eine Zahl, die in einzelnen besonders betroffenen Ländern vom neuen Coronavirus SARS-CoV-2 innerhalb weniger Tage übertroffen wird.

Das heißt nicht zwangsläufig, dass das neue Coronavirus nun deutlich häufiger zu tödlichen Erkrankungen führen muss, es heißt zunächst nur, dass es wesentlich schneller deutlich mehr Menschen infiziert. Woran das liegen könnte, haben Wissenschaftler nun aus der genetischen Information und der Proteinhülle des Virus herauslesen können. Sie haben bei den Viren ein Spike-Protein (Stachel-Eiweiß) entdeckt, das die Viren in die Lage versetzt, sich besonders fest an Zellen der Atemwege zu binden. Dadurch erscheint es möglich, dass ein zunächst recht lockerer initialer Kontakt zwischen Menschen und Viren überproportional häufig zu einer Infektion führt. Deutlich häufiger jedenfalls als bei den SARS-Viren, die das Spike-Protein in der Form nicht haben. Andere molekulare Mechanismen könnten für die starke Infektiosität von SARS-CoV-2 ebenfalls mit verantwortlich sein und den Effekt des Spike-Proteins weiter verstärken. Nach Schätzungen amerikanischer Forscher führt der Kontakt eines SARS-CoV-2 mit einer Schleimhautzelle der Atemwege etwa 10mal häufiger zu einer Infektion, als es bei den ursprünglichen SARS-Viren der Fall war.

Fehlende Herdenimmunität führt zu schneller Verbreitung des Virus

Natürlich kann ein Virus auch mit den raffiniertesten Bindungsmechanismen nur wenig Schaden anrichten, wenn es in seinem menschlichen Wirt auf ein geschultes Immunsystem trifft. Hat das Immunsystem durch frühere Viruskontakte gelernt, dieses als Eindringling zu erkennen, wird es sofort angegriffen und unschädlich gemacht. Ist diese immunologische Eigenschaft in großen Teilen einer Population anzutreffen, wird von „Herdenimmunität“ gesprochen. Das aktuelle Coronavirus ist für das Immunsystem des Menschen unbekannt. Herdenimmunität liegt also nicht vor und muss erst erworben werden. Dies geschieht auf natürlichem Weg, wenn eine große Bevölkerungsgruppe eine Erstinfektion durchmacht. Die Überlebenden dieser Infektionswelle sind für eine gewisse Zeit immun gegen das Virus und können mit dem gleichen Virus nicht mehr infiziert werden.

Dann läge gegen das Virus, im aktuellen Falle wäre es SARS-CoV-2, in großen Teilen der Bevölkerung Immunität vor. Das Ziel der Herdenimmunität wäre erreicht und eine nächste Infektionswelle könnte der so geschützten Bevölkerung kaum noch etwas anhaben. Allerdings ist das nur zu einem hohen Preis erreichbar. Die Erstinfektionswelle hätte sich ungebremst rasend schnell ausgebreitet und eine große Zahl infizierter Menschen schwer erkranken lassen. Allein die große Zahl der ärztlich zu versorgenden Menschen würde die Gesundheitssysteme personell wie materiell überfordern und kollabieren lassen. Daher hat sich letztendlich kein Land dafür entschieden, die Infektionswelle ungebremst durchlaufen zu lassen. Alle Staaten haben durch Kontaktbeschränkungen versucht, die Ausbreitung des Virus abzubremsen, damit das jeweilige Gesundheitssystem nicht überfordert wird. Der Preis dieser Strategie ist klar in Form einer zeitlich, um Wochen und Monate verlängerten Infektionswelle zu zahlen, da durch die Maßnahmen zur Kontaktbegrenzung die Gesamtzahl der Infektionen nicht drastisch verringert werden kann. Aber die gewonnene Zeit ist Kapital, das für Forschung, Entwicklung und medizinisch-technischer Aufrüstung genutzt werden kann.

Entwicklung von Impfungen und Arzneimitteln braucht Zeit

Die Entwicklung von Impfstoffen und wirksamen Arzneimitteln gegen das Virus braucht Zeit. Mindestens Monate, wahrscheinlich sogar Jahre. Große Teile dieser Zeit können durch die Strategie des Abbremsens der Infektionswelle gewonnen werden. Gelingt es, die Infektionswelle zeitlich zu strecken, haben mehr Menschen, insbesondere solche aus Risikogruppen, die Chance in den Genuss einer wirksamen Impfung oder heilender Arzneimittel zu kommen.